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Schnee von morgen

Schnee von morgen | Zeit fĂĽr eine Selbstreflexion

Und jetzt?

von Jan Imberi • 28.12.2021
Ich bin Wintersportler mit Leib und Seele. Und das ist auch nicht verwunderlich, haben mich meine Eltern doch bereits mit 2 Jahren auf mit Klister gewachsten Ski durch den winterlichen Garten spazieren lassen.

Die Winterwochenenden in meiner Kindheit und Jugend verbrachte ich auf Skirennen oder beim Training. In den Herbstferien ging es bereits los, Kaunertal, Sölden, Laax, Vereinstraining zur Saisonvorbereitung. Meine Erfolge im Slalom und Riesenslalom waren mittelmäßig, trotz der großen Anstrengungen meiner Eltern. Ich empfand das ständige Reisen und Pendeln von einem Skirennen zum nächsten, das ständige Trainieren zwischen Stangen und das Feilen an der Fahrtechnik als Last. Es war restriktiv und wenig spielerisch.

Wir wohnten in Freiburg, die Wochenenden und Ferien verbrachten wir im Haus meiner GroĂźeltern im Schwarzwald. Das Haus lag auf 1000m und zum Lift waren es nur fĂĽnf Minuten mit dem Auto. Wir hatten richtig viel Schnee. Auf der Weide hinter dem Haus bauten wir Schanzen.

Die Rennen im Schwarzwald wurden damals an Orten ausgetragen, an denen heute die Lifte nur noch selten in Betrieb sind. Fischbach, Muggenbrunn, Hasenhorn, Heidstein, Stollenbach, Todtnauberg, Altgalshütten, Saig, Der Saiger Abfahrtslauf war mein Lieblingsrennen. Wir mussten nicht weit fahren. Alles lag in unmittelbarer Nähe.

Dann kam 1983 und Apokalypse Snow ins Kino. Ich hatte mir gerade mein erstes Skateboard zusammen gespart und sah nun diese Typen in bunten Overalls im Powder surfen. Das war das Ende meiner Ski-„Karriere“. Mein Horizont erweiterte sich. Tom Sims gründete Sims Snowboards und doublete Roger Moore in 007 James Bond „A view to a Kill“. Die Hänge des Schwarzwalds waren fortan nicht mehr der einzige Ort meiner Träume.

Bei einem Schüleraustausch mit La Clusaz erstand ich dann mein erstes Snowboard. Mit 14 kehrte ich dem Skirennsport endgültig den Rücken zu und „fuhr“ fortan nur noch Snowboard. Es war trial and error und es gab wenig Vorbilder. Perter Bauer fand ich uncool und die Akzeptanz bei der lokalen Lepertran-Crew* musste ich mir erst hart verdienen. An den Wochenenden fuhren wir nach Andermatt, Engelberg oder Meiringen. Der Sprit war erschwinglich und die Parkplätze leer.

Die USA waren für mich damals der Place To Be. Hier trafen sich meine Idole. Nach dem Abitur packte ich meine Sachen und flog nach Seattle mit einem nagelneuen Black Forest Burning Custom Made Brett aus vertikal verleimter Esche in der Tasche. Mein Debut machte ich 1994 auf dem Mt. Baker Banked-Slalom. Craig Kelly hatte den Kurs gesetzt und Terje gewannt - Switch. Ich war extrem unzufrieden mit Platz 23. Die Umstände waren nicht ideal gewesen. Ich wusste das geht besser. Dann 5 Wochen Whistler-Blackcomb mit gefälschtem Liftpass, Squawvalley, Lake Tahoe, Mt. Hood. Ich lernte die Jungs von Dogtown Snowboards auf der Tradeshow in Las Vegas kennen. Sie holten mich in ihr Team. Die Bretter produzierten sie bei Morrow. Die waren ganz ok. Wir fuhren Park in Bear-Mountain und Snow-Valley.

Zurück in Europa setze ich mein Reisen fort. Zum Opening ins Kaunertal, WPT Boardercross in Sölden dann Val d’Isère, Wir riefen den King of the Forest, einen banked-downhill-cross, ins Leben. Das war 1999. Meine Verletzungen nahmen zu und somit auch meine Pausen.

Schnee von morgen
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Dann kam der Bruch.

Ich kehrte dem Wintersport den RĂĽcken zu.

Ich zog nach Frankfurt, Barcelona, London, Berlin. Meine Begegnungen mit Schnee beschränkten sich auf Parkanlagen oder Besuche im heimatlichen Schwarzwald. Der Schnee kam selten während ich zu Besuch war. Das ging so einige Jahre.

Es entwickelte sich einen Sehnsucht in mir. Diese wuchs von Jahr zum Jahr. Dann wich ich dem Druck. Ich besorgte mir Ski, breite Powderlatten mit Tourenbindung und begann wieder zu reisen. Von Berlin aus erkundete ich die Nachbarländer Polen, Tschechische Republik, Slowakei, Slovenien. Wenn es schneite fuhr ich um fünf Uhr morgens in Berlin los damit ich um 9 Uhr in Karpacz in Polen am Lift stehen konnte. Es wurde obsessiv und die Distanzen größer. Von November bis Mai verbrachte ich meine freie Zeit ausschließlich mit Skifahren und war bereit hierfür tausende von Kilometern mit Auto, Flugzeug oder Bahn zurück zu legen.

Wie getrieben scannte ich die Niederschlags- und Temperaturprognosen, um zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Doch es hatte sich verändert. Die Winter waren kürzer und schneeärmer geworden. Dass machte sich nicht nur im Hochgebirge bemerkbar sondern vor allem in den Mittelgebirgen. Das warf Fragen auf. Fragen die ich bis dahin nur global betrachtet, jedoch selten im Bezug auf mein eigenes Handeln betrachtet hatte.

Ich begann mir Gedanken darüber zu machen, dass der Winter, so wie ich ihn kannte, ein endliches Phänomen werden könnte. Dieser Gedanke versetzte mich in Unruhe, sorgte und trieb mich um. Es stieg eine Furcht in mir auf, die Furcht etwas verpassen zu können. Ich scannte die Reiseziele und recherchierte Flugpreise. Jetzt noch einmal Chugach Mountains, Hokkaido, Pir Panjal, Lofoten, Vancouver Island, dann Portillo, Valle Nevada und weiter nach Swanetien. Jetzt noch einmal alles shredden, bevor es vorbei ist. Herrgott, es kann doch nicht einfach zu Ende gehen? Sag bitte, dass dies nur ein vorübergehendes Problem ist!?- Stille.

2021 April, Jahresabschluss Powderguide.

Ein Jahr und eine Wintersaison im Lockdown bestimmen die Diskussion an diesem Abend.

In gemütlicher Runde an der virtuellen Bar teilt man die Erlebnisse des letzten Jahres. Wie war es bei euch während des Lockdowns? Welche Touren habt ihr machen können? Was wurde aus all euren Reiseplänen?

Ein Jahr im Lockdown hat uns in dem beschnitten was wir bislang als selbstverständlich betrachtet haben, die Freiheit zu reisen und uns unbeschränkt auf der Welt bewegen zu können. Eine Saison, in der für uns Europäer sogar die Schweiz zu einem fast unerreichbares Reiseziel wurde. Dieses Selbstverständnis, uneingeschränkt reisen zu können, ist nebenbei bemerkt keineswegs für jeden selbstverständlich, sondern ein Privileg Besserverdienender aus reichen Industrieländern.

Aber Schwamm drĂĽber, wir sind ja hier unter uns. - Prost!

Dabei muss unser Reisen im Hinblick auf einen sich rasant vollziehenden Klimawandel in vielerlei Hinsicht Fragen aufwerfen. Können und wollen wir uns leisten, weiterhin für einen Powdertag, für einen Quick Fix, hunderte von Kilometern mit dem Auto zurück zu legen? Ist es vertretbar, für den fluffigsten Pow einmal um den Globus zu jetten?

Fragen, die wir uns als Profiteure, als Wintersportler mit Leib und Seele stellen sollten.

Was bewirkt unser Handeln?

Wollen wir das „weiter so“ zelebrieren oder ist es nicht gerade unsere Aufgabe, alternatives Handeln zu leben? Welche Vorbildfunktion nehmen wir gegenüber uns und unseren Mitmenschen ein?

PowderGuide ist eine Platform von und für wintersportbegeisterte Freerider. Sollte es nicht gerade deshalb unsere Aufgabe sein, diese Begeisterung für das freie Spiel in diesem fantastischen Element kommenden Generationen zu ermöglichen? Ich bin ein Kind der Siebziger, sozialisiert in den goldenen Achtzigern, einem Jahrzehnt im Liberalisierungs- und Privatisierungsrausch, in dem die „Entfesselung des Marktes“ durch goldene Fanfaren der Welt verkündet und grenzenloses Wachstum, Wohlstand und Reichtum prophezeit wurde. - Alles schien möglich.

Wir haben unser Handeln diesen neuen Regeln angepasst. Es wurde für uns selbstverständlich, was für unsere Großeltern unvorstellbar war. Reisen wurde für uns zum Produkt, das wir ebenfalls konsumierten, was immer höheren Dosen notwendig machte. The Sky’s the limit genügte auf einmal nicht mehr es musste erst Nix Olympica East Face / North couloir werden.

– Wo liegt das denn genau?

– Bis wir begriffen, dass wir uns getäuscht hatten. Das wir uns in eine Richtung bewegt hatten, die irreversible Folgen mit sich brachte.

Soweit so bekannt. Und jetzt?

Stille.

Ich habe mein Verhalten angepasst. Zumindest bilde ich mir das ein. Beurteilen mögen das Andere. Und es ist mit Sicherheit relativ, je nach dem welchen Blickwinkel man einnimmt.

Doch ist mein erklärtes Ziel, zukünftig emissionsfrei zu reisen. Damit struggle ich, noch.

Ich bin kein Freund der Predigt und des Verzichts, aber des Maßes. Und das kann auch viel sein. Trotzdem ist mein Leben weiterhin intensiv – und das ist gut so. In den Bergen habe ich gelernt mich anzupassen, was mir bei Menschen oftmals nicht gelingt. Aber das liegt an der Rollenverteilung. Denn dort gibt es keine Diskussion. Es herrscht ein klares Kräfteverhältnis. Der Berg zwingt mich zu Vorsicht. Er fordert behutsames Vorgehen, will man die Grenzen verschieben.

Die Berge sind fĂĽr mich eine Metapher fĂĽr das Leben. Der Winter ihre BlĂĽtezeit. Wir sollten Ihnen Aufmerksamkeit schenken, anstatt sie zu konsumieren. Sie geben Zeugnis unseres Handeln und archivieren unsere Geschichte.

Im Spiegel des Hier und Jetzt und dem was vergangen ist.

Die Zukunft bleibt hingegen ungewiss, fĂĽr uns, aber nicht fĂĽr sie.

Sie können auf Zeit spielen. 

Wir können es nicht.

*Lebertran Crew

Schwarzwälder Snowboard Pioniere with serious attitude.

Credo: Do not follow us!

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