Interpretation
Das Schneeprofil zeigt im unteren Bereich einen sehr interessanten Ablauf zwischen Schmelzkrusten und ehemals aufbauend umgewandelten Schichten (Kantig & Tiefenreif) die sich bereits wieder merklich abbauend umgewandelt haben (kantig-abgerundet). Das Abbauen der Schwachschichten geschieht zum einen durch einen geringen Temperaturgradienten, zum anderen durch den Druck einer starken Auflast von neuerlichen Schneefällen.
Die Schichten bis knapp über 30cm sind schwach feucht. Ob hier die Bodenwärme gewirkt hat, oder ob vor einiger Zeit eine höhere Lufttemperatur oder gar Regen ausschlaggebend für die Durchfeuchtung war, lässt sich nicht mehr beurteilen. Auf diese Höhenlage könnte es im Jänner alles gewesen sein. Das gleiche gilt für die zahlreichen Schmelzkrusten – ob Regen oder Temperaturen einige Grad über 0 lässt sich nicht mehr sagen.
Es liegt eine große Menge an Neuschnee, die von einer noch stattfindenden oder gerade erst abgeschlossenen, hohen Niederschlagsintensität stammen muss. Denn wenn der Schneefall bei einer Schneetemperatur von -3°C schon einen halben Tag oder länger her wäre, wäre der Neuschnee bereits großteils zu Filz umgewandelt worden. Bei einer hohen Absoluttemperatur finden Umwandlungsprozesse viel, viel, viel schneller statt. Egal ob abbauende (= Setzung) oder aufbauende Umwandlung.
Bei einem Gradienten von -5°C auf 0°C auf einem Zentimeter der Schneedecke wirkt die aufbauende Umwandlung (= Facettenbildung) viel schneller als bei einem Gradienten von -20°C auf -15°C pro Zentimeter – obwohl der Gradient gleich stark ausgeprägt ist. Die Gradientstärke bestimmt lediglich, ob sich die Schneedecke abbauend oder aufbauend umwandelt, die Absoluttemperatur bestimmt die Umwandlungsgeschwindigkeit. Temperatur ist ja nichts anderes als die Bewegungsgeschwindigkeit der Moleküle – je wärmer, je schneller. Wenn der Ameisenhaufen schneller wuselt, dann kann er schneller etwas aufbauen aber auch abbauen. Deswegen bildet sich Tiefenreif viel häufiger in Bodennähe, denn dort ist es immer 0°C warm (Bodenwärme aus dem Erdinneren) und damit die Absoluttemperatur sehr hoch.
Gleiches gilt beim Abbauen bzw. Setzen: Isotherm bei -1°C ist ganz was anderes als isotherm bei -20°C. In beiden Fällen baut sich die Schneedecke abbauend um. Im ersten Fall in wenigen Stunden bis Tagen zu einem vollkommen kompakten Stock von rundkörnigen Kristallen, im zweiten Fall in zig Wochen.
Für die Lawinengefahr relevant sind die bodennahen, ehemaligen Schwachschichten de facto nicht mehr. Sie sind bereits wieder merklich verfestigt. Relevant ist hingegen vor allem die Schicht aus Oberflächenreif – sehr einfach abzuleiten aus dem ECTP0 Testergebnis. Sollte der Oberflächenreif aber nicht über größere Flächen zu finden sein, spielt die Kantige Schicht knapp darunter die größere Rolle für die Lawinengefahr. Hier hätte sich noch ein PST (Propagation Saw Test) angeboten, um das Verhalten dieser kantigen Schicht einzuschätzen. Mit einem ECT konnte man sie durch die darüberliegende V-Schicht kaum ansprechen, da der Oberflächenreif bereits vorher gebrochen ist. Damit luchst der Oberflächenreif den folgenden Schwachschichten das nötige Schneebrett ab. Mit einem PST, bei dem man mit einer Schnur oder Säge durch die Schwachschicht „schneidet“, kann man direkt eine Schwachschicht testen, ohne darüberliegende Schwachschichten großartig in das Ergebnis miteinzubinden.
Die Schwachschicht aus Oberflächenreif hat in diesem Fall bereits mit Betreten des Geländes kleine Setzungsgeräusche erzeugt. Ein Setzungsgeräusch entsteht, wenn eine Schwachschicht bricht, sich das Schneebrett etwas absenkt und die Luft zwischen den Kristallen der Schwachschicht an den Zugrissen heraus gedrückt wird. Das Setzungsgeräusch ist sozusagen die Schneebrettauslösung im Flachen. Also dort, wo das Schneebrett aufgrund der zu geringen Steilheit nicht nach dem Bruch abgleiten kann. Die Schwachschicht bricht dann genau so, aber das Schneebrett bleibt liegen. Es verändert seine Position nur um einige Zentimeter Absenkbewegung.
Merke: Der Temperaturgradient entscheidet ob aufbauende oder abbauende Umwandlung stattfindet. Die Absolut-Temperatur in weiterer Folge die Geschwindigkeit des Umwandlungsprozesses.