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Schneegestöber

SchneeGestöber 4 2018/19 | Schneeprofilbesprechung

Lernen mit Beispielen

von Lukas Ruetz • 10.12.2018
Schneeprofile wirken auf den ersten Blick kompliziert. Kennt man allerdings ein paar Grundbegriffe, relativiert sich dieser Eindruck schnell. Doch auch wenn man Profile lesen kann, bedarf es einiger Übung, daraus die relevanten Schlüsse zu ziehen. Am wichtigsten jedoch ist es, sich die Schneedecke bildlich und mit ihrer Schichtung im Gelände vorstellen zu können. Ein Beispiel:

Profil vom 21.01.2018 – Sellraintal: Peida, Jaggler Anger

Das Schneeprofil wurde am 21. Jänner 2018 in einem Feld (Anger ist die Bezeichnung für ein eine ebene Agrarfläche im bayrischsprachigen Raum) auf 1480m Seehöhe aufgenommen – also während der Tage mit den extrem intensiven Schneefällen in der Saison 2017/18 und der teils ausgerufenen Warnstufe 5 in Tirol und der Schweiz. Die Hangneigung wird darum auch mit 0° angegeben, also eine vollkommen ebene Fläche. Somit kann dem Profil auch keine Hangexposition zugeordnet werden. Interessant scheint jedoch die Bemerkung „Standort im Früh- und Hochwinter ganztags abgeschattet“. Bezüglich Strahlungseinfluss entspricht die Schneedecke damit einem Nordhang steiler 30°. Denn Nordhänge mit mehr als 30° erhalten in unseren Breiten vom Spätherbst bis zum Ende des Hochwinters ebenfalls keinen einzigen direkten Sonnenstrahl.

Die Schneedecke ist 128cm mächtig und weist 14 Schichten auf. Die Lufttemperatur beträgt -5,4°C, die Schneetemperatur an der Oberfläche -3,1°C (durch diffuse Sonnenstrahlung erwärmt), auf 50cm ebenfalls -3,1°C und am Boden 0°C. Betrachtet man die Temperatur auf 50cm und an der Oberfläche kommt man auf keinen Temperaturgradienten, der Schnee ist gleich temperiert. Die Schneedecke ist damit großmaßstäbig betrachtet von der Oberfläche bis zur Höhe von 50cm isotherm – die rote Temperaturlinie geht senkrecht nach unten. In Wirklichkeit gibt es in diesem Bereich mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit verschiedene Temperaturen in den Schneehöhen, es wurde nur keine weitere Messung im Zwischenbereich durchgeführt, da sich die Temperaturen vermutlich nicht großartig unterscheiden. Theoretisch könnten sich aber in diesem Abschnitt Sprünge von bspw. -20°C auf -2°C verstecken, sie wurden nur nicht nachgemessen.

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Zu den Schichten

Ein Schneeprofil wird immer von oben nach unten aufgenommen und gelesen: Die erste Schicht mit den + Symbolen zeigt also schöne, dendritische Neuschneekristalle mit einer Größe von 1-2mm und einer Härte von 1 = FA = blauer Balken. Das heißt, man kann die Schicht problemlos mit der Faust durchdringen. Sie befindet sich von 128cm bis 78cm Höhe, ist also 40cm mächtig.

Die zweite Schicht mit dem dicken Punkt und dem Schrägstrich zeigt rundkörnige, also fortschreitend abbauend umgewandelte, Schneekristalle und Filz. Filz ist der erste Schritt im Abbau vom schönen Neuschneekristall zum rundlichen Korn. Dabei brechen die Verästelungen der Schneekristalle ab und es schaut mehr verfilzt aus. Die Schicht weist eine Härte von 2 = 4F = blauer Balken auf. Sie ist also mit vier Fingern mit mäßiger Krafteinwirkung noch horizontal durchdringbar.

Darunter lagert 1cm an Oberflächenreif (V-Symbol) mit einer Korngröße von  2 – 5mm, wieder mit einer Härte 1 = Faust. Interessant hier ist der gelbe Strich an der oberen Schichtgrenze mit dem ECTP-Vermerk. Im Feld „Bemerkungen“ stehen die genauen Testergebnisse. Bei zwei Extended Column Tests brach hier die Schicht aus Oberflächenreif jeweils beim Ausschneiden des 90x30cm großen Blocks ohne den Block von oben belasten zu müssen. Das schlechteste Ergebnis, das es beim erweiterten Säulentest gibt.

Bis hierher waren alle Schichten trocken (Nummer 1 in der Spalte vor dem Kornsymbol), die nachfolgenden sind alle schwach feucht (Nummer 2 in derselben Spalte).

Es folgt eine dünne, ziemlich harte (Härte 4 bis 5, mit einem Bleistift fast nicht mehr durchdringbar) Schmelzkruste (Brillensymbol). Danach eine Schwachschicht aus relativ kleinen (0,5mm – 1mm) und weichen (Härte 1 = FA)  kantigen Kristallen (Quadrat-Symbol). Und darunter wechseln sich Schmelzkrusten verschiedener Härten immer mit vornehmlich kantig-abgerundeten Kristallen ab.

Kantig-abgerundet bedeutet: Die Schneekristalle wurden aufbauend umgewandelt (also zu kantigen Kristallen bzw. in weiterer Folge zu Tiefenreif) und später wieder abbauend umgewandelt. Dabei werden die Facettenformen mit Kanten und Ecken wieder rundlicher. Da es kein „Tiefenreif-abgerundet“-Symbol gibt, benutzt man für Tiefenreif, der sich bereits merklich abbauend umgewandelt hat, ebenfalls kantig-abgerundet. Die ehemaligen Schwachschichten sind durch die wieder einsetzende, abbauende Umwandlung wieder zumindest etwas, teilweise merklich verfestigt. Keine von ihnen hat noch Härtegrad 1 (Faust).

Interpretation

Das Schneeprofil zeigt im unteren Bereich einen sehr interessanten Ablauf zwischen Schmelzkrusten und ehemals aufbauend umgewandelten Schichten (Kantig & Tiefenreif) die sich bereits wieder merklich abbauend umgewandelt haben (kantig-abgerundet). Das Abbauen der Schwachschichten geschieht zum einen durch einen geringen Temperaturgradienten, zum anderen durch den Druck einer starken Auflast von neuerlichen Schneefällen.

Die Schichten bis knapp über 30cm sind schwach feucht. Ob hier die Bodenwärme gewirkt hat, oder ob vor einiger Zeit eine höhere Lufttemperatur oder gar Regen ausschlaggebend für die Durchfeuchtung war, lässt sich nicht mehr beurteilen. Auf diese Höhenlage könnte es im Jänner alles gewesen sein. Das gleiche gilt für die zahlreichen Schmelzkrusten – ob Regen oder Temperaturen einige Grad über 0 lässt sich nicht mehr sagen.

Es liegt eine große Menge an Neuschnee, die von einer noch stattfindenden oder gerade erst abgeschlossenen, hohen Niederschlagsintensität stammen muss. Denn wenn der Schneefall bei einer Schneetemperatur von -3°C schon einen halben Tag oder länger her wäre, wäre der Neuschnee bereits großteils zu Filz umgewandelt worden. Bei einer hohen Absoluttemperatur finden Umwandlungsprozesse viel, viel, viel schneller statt. Egal ob abbauende (= Setzung) oder aufbauende Umwandlung.

Bei einem Gradienten von -5°C auf 0°C auf einem Zentimeter der Schneedecke wirkt die aufbauende Umwandlung (= Facettenbildung) viel schneller als bei einem Gradienten von -20°C auf -15°C pro Zentimeter – obwohl der Gradient gleich stark ausgeprägt ist. Die Gradientstärke bestimmt lediglich, ob sich die Schneedecke abbauend oder aufbauend umwandelt, die Absoluttemperatur bestimmt die Umwandlungsgeschwindigkeit. Temperatur ist ja nichts anderes als die Bewegungsgeschwindigkeit der Moleküle – je wärmer, je schneller. Wenn der Ameisenhaufen schneller wuselt, dann kann er schneller etwas aufbauen aber auch abbauen. Deswegen bildet sich Tiefenreif viel häufiger in Bodennähe, denn dort ist es immer 0°C warm (Bodenwärme aus dem Erdinneren) und damit die Absoluttemperatur sehr hoch.

Gleiches gilt beim Abbauen bzw. Setzen: Isotherm bei -1°C ist ganz was anderes als isotherm bei -20°C. In beiden Fällen baut sich die Schneedecke abbauend um. Im ersten Fall in wenigen Stunden bis Tagen zu einem vollkommen kompakten Stock von rundkörnigen Kristallen, im zweiten Fall in zig Wochen.

Für die Lawinengefahr relevant sind die bodennahen, ehemaligen Schwachschichten de facto nicht mehr. Sie sind bereits wieder merklich verfestigt. Relevant ist hingegen vor allem die Schicht aus Oberflächenreif – sehr einfach abzuleiten aus dem ECTP0 Testergebnis. Sollte der Oberflächenreif aber nicht über größere Flächen zu finden sein, spielt die Kantige Schicht knapp darunter die größere Rolle für die Lawinengefahr. Hier hätte sich noch ein PST (Propagation Saw Test) angeboten, um das Verhalten dieser kantigen Schicht einzuschätzen. Mit einem ECT konnte man sie durch die darüberliegende V-Schicht kaum ansprechen, da der Oberflächenreif bereits vorher gebrochen ist. Damit luchst der Oberflächenreif den folgenden Schwachschichten das nötige Schneebrett ab. Mit einem PST, bei dem man mit einer Schnur oder Säge durch die Schwachschicht „schneidet“, kann man direkt eine Schwachschicht testen, ohne darüberliegende Schwachschichten großartig in das Ergebnis miteinzubinden.

Die Schwachschicht aus Oberflächenreif hat in diesem Fall bereits mit Betreten des Geländes kleine Setzungsgeräusche erzeugt. Ein Setzungsgeräusch entsteht, wenn eine Schwachschicht bricht, sich das Schneebrett etwas absenkt und die Luft zwischen den Kristallen der Schwachschicht an den Zugrissen heraus gedrückt wird. Das Setzungsgeräusch ist sozusagen die Schneebrettauslösung im Flachen. Also dort, wo das Schneebrett aufgrund der zu geringen Steilheit nicht nach dem Bruch abgleiten kann. Die Schwachschicht bricht dann genau so, aber das Schneebrett bleibt liegen. Es verändert seine Position nur um einige Zentimeter Absenkbewegung.

Merke: Der Temperaturgradient entscheidet ob aufbauende oder abbauende Umwandlung stattfindet. Die Absolut-Temperatur in weiterer Folge die Geschwindigkeit des Umwandlungsprozesses.

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