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Schneegestöber

SchneeGestöber 1 2025/26 | „Unter der Lupe“

Schneeprofile aus dem Frühwinter: Dünne Schneedecken und schwache Schichten

24.12.2025
Lydia Knappe Linus Langenbacher
„Unter der Lupe“ ist eine Artikelreihe von Lydia und Linus. Wir beide sind diesen Winter am SLF in Davos und beschäftigen uns dort aus wissenschaftlicher Perspektive mit Schnee. Da wir – sowohl bei der Feldarbeit als auch an unseren Wochenenden – ohnehin regelmäßig den Schnee der Umgebung unter die Lupe nehmen, nehmen wir euch diesen Winter ab und an mit. Wir erklären unsere Schneeprofile, was die einzelnen Beobachtungen eigentlich bedeuten, und greifen verschiedene schneewissenschaftliche Themen auf, die sich aus den aktuellen Profilen ergeben. Heute: Wie die Wetterbedingungen zum Saisonstart den Rest der Wintersaison mitprägen können – und wie das Wetter der letzten Wochen die Schneedecke verändert hat.

Der erste richtige Schneefall der Saison brachte vor allem in den Westalpen winterliches Vergnügen. Doch auch der Rest der Alpen wurde großflächig in ein weißes Kleid gehüllt. In Davos fielen rund 35–40 cm Neuschnee. Klingt erstmal super, so richtig gute Verhältnisse waren es aber trotzdem noch nicht. Sharks lauern überall, die Unterlage fehlt, und mit der aktuellen schneefallfreien Periode könnte sich der schon gefallene Schnee über den Winter mehr und mehr zu einem Problem entwickeln. Die Mechanismen dahinter versuchen wir hier zu erklären.

Der Schneefall von Mitte November begann bei –5 °C und kühlte während der zweitägigen Niederschlagsphase auf –12 °C ab. Es herrschte mäßiger Wind, der aber ausreichte, um Schnee zu verfrachten. Dieser Schnee fiel fast überall auf eine Schmelzkruste, die aus den Schneefällen Ende Oktober und den darauffolgenden milden Temperaturen resultierte.

In den letzten drei Wochen seit dem Schneefall haben wir insgesamt sieben Profile an unterschiedlichen Standorten und Expositionen rund um Davos gegraben und Stabilitätstests durchgeführt. Zwei davon erklären wir hier genauer. Falls ihr noch nicht so viele Berührungspunkte mit Schneeprofilen hattet, oder das letzte Mal doch schon wieder etwas her ist, gibt es bei PowderGuide oder auf der SLF-Seite eine ausführliche Erklärung dazu.

Alle gegrabenen Profile haben gemeinsam, dass flächendeckend ein bis zwei bodennahe Schmelzkrusten vorhanden sind, die sich während der ersten Schneefälle gebildet haben. Zwischen und unter diesen Krusten finden sich häufig grobkörnige, kantig aufgebaute, weiche Schichten. Oberhalb dieser bodennahen Schichten hat sich der erste größere Schneefall vom Ende November weit verbreitet in kantige Kristalle umgewandelt, die jedoch im Allgemeinen etwas kleiner und besser gebunden sind als die untersten Schichten. An sonnigen Hängen nehmen zur Oberfläche hin die kleinen, runderen Kristalle zu. Generell sind die Profile von lockeren, kantigen Schichten dominiert, insbesondere an schattigen Standorten und Nordhängen ist teilweise die gesamte Schneedecke bis auf die Krusten aufbauend umgewandelt und nur Faust- oder 4 Finger hart. Die Art Schnee, bei der man beim Bootpacken mit jedem Schritt bis übers Knie einsinkt.

Info: Hart beschreibt im Schneeprofil den Widerstand einer Schneeschicht gegen das Eindringen der Hand oder der Finger. Eine harte Schicht lässt sich nur schwer oder gar nicht mit der Hand eindrücken, da die Schneekristalle stark miteinander verbunden sind und der Schnee eine hohe innere Festigkeit (Kohäsion) aufweist. Die Handhärte ist eine relative, subjektive Einschätzung, die hilft, Unterschiede zwischen einzelnen Schichten zu erkennen und Rückschlüsse auf deren mechanisches Verhalten (z. B. Schneebrettbildung) zu ziehen.

Dass sich zu Beginn einer Wintersaison kantige Kristalle bilden, ist grundsätzlich ein sehr verbreitetes Phänomen. Je größer die Temperaturunterschiede innerhalb der Schneedecke sind, desto mehr Luftfeuchtigkeit bewegt sich dort.
Dadurch wachsen die Kristalle immer weiter an (aufbauende Umwandlung → kantige Kristalle), anstatt sich – wie bei kleinen Temperaturunterschieden – zu setzen und sich zunehmend besser mit den umliegenden Kristallen zu verbinden (Sintern → kleine, runde Kristalle).

Info: Beim Sintern von Schnee verbinden sich Schneekristalle miteinander. Die Kristalle werden dabei runder, verlieren ihre scharfen Kanten und haften besser aneinander. Dadurch wird der Schnee dichter, fester und härter. Im Gegensatz zur aufbauenden Umwandlung wirkt Sintern stabilisierend auf die Schneeschicht.

Damit ist klar: Gerade zu Beginn der Saison gibt es das Risiko, dass schwache, kantige Schichten heranwachsen, denn solange die Schneedecke noch dünn ist, herrschen häufig große Temperaturunterschiede zwischen dem Boden und der Außentemperatur auf sehr kleinen Distanzen.

Ein kleines Beispiel: Ende November lag die Schneehöhe an einigen Orten bei nur etwa 50 cm, während die Umgebungstemperatur bei –15 °C lag. Daraus ergibt sich ein Gesamttemperaturgradient von rund 30 °C/m, also der Temperaturunterschied pro Meter Schneedecke. Über nur 10 cm verändert sich die Temperatur damit im Mittel um etwa 3 °C.

Die Faustregel besagt, dass sich Schnee ab einem Temperaturgradienten von etwa 10 °C/m zu kantigen Kristallen umwandelt und auf diese Weise im Laufe der Zeit immer schwächere Schichten in der Schneedecke entstehen. Mit 30 °C/m aus unserem Beispiel liegt der Wert deutlich darüber, und der Schnee wird entsprechend schnell umgewandelt. Allerdings sollte man im Hinterkopf behalten, dass –15 °C eher ein Extremwert ist, wie er an klaren, kalten Nächten vorkommt.

Besonders, wenn nach den ersten Schneefällen der Saison erstmal eine Hochdruckperiode ohne Niederschlag und mit kalten Temperaturen vorherrscht, schafft das die perfekten Bedingungen, um großflächig Schwachschichten in der Schneedecke anzulegen. Ohne die „richtige“ Auflage macht dieser schwache Schnee aber noch keine Probleme. In den oberen Schichten kantig aufgebaute Schneedecken fühlen sich beim Skifahren fast wie Powder an: fluffige, weiche Schichten, in denen man richtig Spaß haben kann (zumindest wenn, anders als dieses Jahr in Davos, darunter wenigstens genug Schnee liegt, um die Sharks zu bedecken, siehe Schneehöhenkarte). Die Gefahren der Schwachschicht lauern aber eher im Verlauf des Winters. Wenn sich über die nächsten Schneefälle oberhalb der früh gebildeten, kantigen Kristalle besser gebundene Schichten, wie etwa Triebschneeansammlungen, bilden, sind alle Bedingungen für eine Schneebrettlawine gegeben: ein gebundenes, also gut zusammenhängendes Brett auf einer flächig verbreiteten schwachen Schicht, die eine geringere Stabilität hat und bei Zusatzbelastung durch Niederschlag, oder durch eine Schneesportler:in leicht kollabieren kann. 

Diese tief vergrabenen Schwachschichten werden im Lawinenbulletin als Altschneeproblem ausgewiesen. Für Schneesportler:innen sind sie besonders schwer einzuschätzen, da sie weder aus dem Wetterbericht der letzten Tage abzuleiten noch an der Schneeoberfläche zu erkennen sind. Aufgrund der Heterogenität der Schneedecke ist es unmöglich, genau vorherzusagen oder abzugrenzen, wo und wie großflächig solche Schwachschichten auftreten. Das macht sie zu einem der gefährlichsten Lawinenprobleme. Besonders in Wintern wie diesem, in dem zu Beginn der Saison auf die ersten Schneefälle ein längeres niederschlagsarmes Wetterfenster folgt und über lange Zeiträume dünne Schneedecken präsent sind (siehe Grafik relative Schneehöhen), sollte man also aufpassen und das Lawinenbulletin aufmerksam auf ein Altschneeproblem prüfen. Auch ein Schneeprofil zu graben kann helfen, lokal einzuschätzen, wie schwach die bodennahen Schichten hier wirklich sind. 

Nun schauen wir einmal genauer auf die Profile: 

Im ersten Profil (25.11.) ist der frisch gefallene Neuschnee deutlich vom etwas älteren Filz (Definition: Filz) zu unterscheiden. Nach der Schneefallperiode führten die klaren Nächte und tiefen Temperaturen von bis zu –14 °C zu starken Temperaturgradienten in der noch dünnen Schneedecke.
In Verbindung mit nahezu windstillen Bedingungen (mittlere Windgeschwindigkeit 1–10 km/h, Spitzen 10–20 km/h) bildete sich Oberflächenreif, der in kleiner Form im Profil vom 02.12. und in ausgeprägterer Form in den Profilen am 04.12. zu sehen war. Die Kristalle wuchsen bis zu 1–2 cm. Für diese Entwicklung waren neben kalten, windstillen Bedingungen auch ein entsprechend hoher Feuchtigkeitsgehalt in der Luft notwendig.

Seit dem Profil am 04.12. stiegen die Temperaturen und es regnete bis hinauf zur 0‑°C‑Grenze auf etwa 3000 m. Der zuvor gefallene Neuschnee wurde eingeregnet und durch die klaren Nächte zu einem harten Harschdeckel transformiert. Langfristig hätte dies positiv auf die Schneedeckenstabilität wirken können, da sich die kantig aufgebaute Schneedecke bei wärmeren Temperaturen durch Sinterung oder sogar Schmelzprozesse stabilisiert. Besonders viel Spaß machen Schmelzkruste und Bruchharsch aber natürlich auch nicht. Zudem bestand die Hoffnung, dass der eingeschneite Oberflächenreif (eingeschneit am Wochenende 6./7.12.) durchfeuchtet und anschließend zu deutlich stabileren Schmelzformen gefroren werden könnte.

Mit dem Profil vom Dienstag, 09.12., bestätigte sich diese Hoffnung jedoch nur teilweise. Die Neuschneeschicht oberhalb des Oberflächenreifes blieb als filzige, leicht kantig aufgebaute Schicht unter einer 2 cm dicken Harschkruste erhalten. Auch der Oberflächenreif selbst ist nach wie vor gut sichtbar im Profil (Durchscheinprofil). Bei den letzten beiden Profilen am Strelapass auf 2440 m, wurde trotz positiver Lufttemperaturen um +6 °C (also hoher 0‑°C-Grenze) in den bodennahen Schichten bis zur zweiten Schmelzkruste feuchter Schnee beobachtet.

Etwa 20 cm unter der Schneeoberfläche befindet sich ein flächig ausgeprägter, eingeschneiter Oberflächenreif mit Kristallen von 1–2,5 cm Größe. Die darüber liegenden Schichten bilden jedoch kein fest gebundenes „Brett“, sondern sind nach wie vor locker. Dadurch fehlt eine Schicht, die das Kollabieren der Schwachschicht großflächig weiterverbreiten würde. Wir vermuten, dass genau dies auch der Grund ist, warum im Profil bei den durchgeführten Stabilitätstests keine Bruchausbreitung beobachtet wurde: Sowohl bei der Rutschblockstufe (RB6, unregelmäßig) als auch bei den ECT-Ergebnissen (ECTN16, ECTN18 im Oberflächenreif) trat keine Propagation (Bruchfortpflanzung) auf. Aufgrund der zuletzt warmen Temperaturen könnte der Reif etwas „robuster“ geworden sein, da er erst bei relativ hoher Belastung gebrochen ist. Die Kristalle sind jedoch weiterhin gut sichtbar und weitgehend unverändert vorhanden.

Info: Propagation bezeichnet die seitliche Ausbreitung eines Bruchs innerhalb einer Schwachschicht, nachdem dieser an einer Stelle ausgelöst wurde. Sie zeigt, ob ein lokaler Bruch fähig ist, sich über eine größere Fläche fortzupflanzen und damit die Voraussetzung für die Auslösung eines Schneebretts erfüllt. Bleibt die Propagation aus (z. B. ECTN, unregelmäßiger Bruch im Rutschblock), ist der Bruch lokal begrenzt und breitet sich nicht selbstständig in der Schwachschicht aus.

Take Home Messages: 

  • Entscheidend für die Bildung von Schwachschichten innerhalb der Schneedecke ist ein hoher Temperaturunterschied auf geringen Mächtigkeiten.

  • Gerade zu Beginn des Winters lohnt es sich, die Daumen zu drücken, dass der Schnee sich direkt gut setzt und nicht die Grundbedingungen für einen Winter mit störanfälliger Schneedecke legt.

  • Vorsicht mit Altschneeproblemen im Bulletin. Diese sind schwer einzuschätzen und können besonders tief in der Schneedecke brechen und damit leicht groß werden.

  • Solange sich oberhalb kein Schneebrett bildet, sind kantige Kristalle und schwache Schichten kein Problem, sie lassen sich sogar ziemlich gut fahren!

  • Die Schneeprofile deuten auf einen derzeit noch unkritischen, für den weiteren Winterverlauf jedoch potenziell störanfälligen Schneedeckenaufbau hin.

Schreibt uns gerne, falls euch ein Schneethema am Herzen liegt, was ihr gerne besprochen hättet, oder fragt nach, falls irgendwas unklar geblieben ist.

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