Dass sich zu Beginn einer Wintersaison kantige Kristalle bilden, ist grundsätzlich ein sehr verbreitetes Phänomen. Je größer die Temperaturunterschiede innerhalb der Schneedecke sind, desto mehr Luftfeuchtigkeit bewegt sich dort.
Dadurch wachsen die Kristalle immer weiter an (aufbauende Umwandlung → kantige Kristalle), anstatt sich – wie bei kleinen Temperaturunterschieden – zu setzen und sich zunehmend besser mit den umliegenden Kristallen zu verbinden (Sintern → kleine, runde Kristalle).
Info: Beim Sintern von Schnee verbinden sich Schneekristalle miteinander. Die Kristalle werden dabei runder, verlieren ihre scharfen Kanten und haften besser aneinander. Dadurch wird der Schnee dichter, fester und härter. Im Gegensatz zur aufbauenden Umwandlung wirkt Sintern stabilisierend auf die Schneeschicht.
Damit ist klar: Gerade zu Beginn der Saison gibt es das Risiko, dass schwache, kantige Schichten heranwachsen, denn solange die Schneedecke noch dünn ist, herrschen häufig große Temperaturunterschiede zwischen dem Boden und der Außentemperatur auf sehr kleinen Distanzen.
Ein kleines Beispiel: Ende November lag die Schneehöhe an einigen Orten bei nur etwa 50 cm, während die Umgebungstemperatur bei –15 °C lag. Daraus ergibt sich ein Gesamttemperaturgradient von rund 30 °C/m, also der Temperaturunterschied pro Meter Schneedecke. Über nur 10 cm verändert sich die Temperatur damit im Mittel um etwa 3 °C.
Die Faustregel besagt, dass sich Schnee ab einem Temperaturgradienten von etwa 10 °C/m zu kantigen Kristallen umwandelt und auf diese Weise im Laufe der Zeit immer schwächere Schichten in der Schneedecke entstehen. Mit 30 °C/m aus unserem Beispiel liegt der Wert deutlich darüber, und der Schnee wird entsprechend schnell umgewandelt. Allerdings sollte man im Hinterkopf behalten, dass –15 °C eher ein Extremwert ist, wie er an klaren, kalten Nächten vorkommt.
Besonders, wenn nach den ersten Schneefällen der Saison erstmal eine Hochdruckperiode ohne Niederschlag und mit kalten Temperaturen vorherrscht, schafft das die perfekten Bedingungen, um großflächig Schwachschichten in der Schneedecke anzulegen. Ohne die „richtige“ Auflage macht dieser schwache Schnee aber noch keine Probleme. In den oberen Schichten kantig aufgebaute Schneedecken fühlen sich beim Skifahren fast wie Powder an: fluffige, weiche Schichten, in denen man richtig Spaß haben kann (zumindest wenn, anders als dieses Jahr in Davos, darunter wenigstens genug Schnee liegt, um die Sharks zu bedecken, siehe Schneehöhenkarte). Die Gefahren der Schwachschicht lauern aber eher im Verlauf des Winters. Wenn sich über die nächsten Schneefälle oberhalb der früh gebildeten, kantigen Kristalle besser gebundene Schichten, wie etwa Triebschneeansammlungen, bilden, sind alle Bedingungen für eine Schneebrettlawine gegeben: ein gebundenes, also gut zusammenhängendes Brett auf einer flächig verbreiteten schwachen Schicht, die eine geringere Stabilität hat und bei Zusatzbelastung durch Niederschlag, oder durch eine Schneesportler:in leicht kollabieren kann.
Diese tief vergrabenen Schwachschichten werden im Lawinenbulletin als Altschneeproblem ausgewiesen. Für Schneesportler:innen sind sie besonders schwer einzuschätzen, da sie weder aus dem Wetterbericht der letzten Tage abzuleiten noch an der Schneeoberfläche zu erkennen sind. Aufgrund der Heterogenität der Schneedecke ist es unmöglich, genau vorherzusagen oder abzugrenzen, wo und wie großflächig solche Schwachschichten auftreten. Das macht sie zu einem der gefährlichsten Lawinenprobleme. Besonders in Wintern wie diesem, in dem zu Beginn der Saison auf die ersten Schneefälle ein längeres niederschlagsarmes Wetterfenster folgt und über lange Zeiträume dünne Schneedecken präsent sind (siehe Grafik relative Schneehöhen), sollte man also aufpassen und das Lawinenbulletin aufmerksam auf ein Altschneeproblem prüfen. Auch ein Schneeprofil zu graben kann helfen, lokal einzuschätzen, wie schwach die bodennahen Schichten hier wirklich sind.